Der hallische Jurist und Salzgraf Johann Christoph von Dreyhaupt (1699–1768) veröffentlichte Mitte des 18. Jahrhunderts eine zweibändige »Beschreibung des Saal-Creyses« – eine umfangreiche illustrierte Abhandlung über die Geschichte und Kultur der Stadt Halle samt Umland. Dieser fügte er Hondorffs in die Jahre gekommene Schrift über die Thalsaline als Anhang bei und ergänzte, was sich seit 1670 verändert hatte. Beide Ausgaben des Hondorffschen Werks sind heute wichtige Quellen für die Geschichte und Technologie der Salzgewinnung im vorindustriellen Halle.
Die Frühe Neuzeit war keine Epoche großer technischer Innovationen. Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein versuchte man vor allem, die großen Erfindungen des Mittelalters zu verbessern. Denn das Spektrum verfügbarer Energieträger war begrenzt: Holz blieb unverzichtbar als Baumaterial und wichtigster Brennstoff, Maschinen ließen sich nur durch Muskel-, Wasser- oder Windkraft bewegen. Auch die Salinentechnik in Halle hatte sich über die Jahrhunderte kaum verändert, die Pfännerschaft gewann ihr Salz wie eh und je. Mit der Einführung der Steinkohle in den staatlichen Siedehütten um 1700 aber brach eine neue Zeit an.
Mittelalterliche Verhältnisse
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts gewann die Thalsaline ihr Salz noch fast wie im Mittelalter. Die früheste illustrierte Beschreibung dazu stammt aus Georg Agricolas (1494–1555) berühmten Bergbauhandbuch De re metallica. Die genauen Erläuterungen und Holzschnitte lassen vermuten, dass der sächsische Arzt und Universalgelehrte Halles Saline wohl aus eigener Anschauung kannte.
Salzgewinnung in einer Saline bei Agricola
Über 100 Jahre nach Agricola verfasste der hallesche Salzgraf Friedrich Hondorff (1628–1694) das erste Standardwerk zur Salzgewinnung in Halle. Darin beschreibt er ausführlich Besitzverhältnisse, Rechtsordnung und Arbeitsabläufe auf der Thalsaline. Heute gewährt uns Hondorffs Werk wertvolle Einblicke in die hiesige Siedetechnik und Salzproduktion im späten 17. Jahrhundert.
Holz, Stroh und Lehm – die Salzkothen
Das Salz wurde in den Salzkothen hergestellt. Das waren einfache Fachwerkhäuschen aus Tannen- oder Fichtenholz, Stroh und Lehm. Zu jeder Kothe gehörte ein großes eingegrabenes Fass, das je zur Hälfte auf der Gasse und im Haus stand. So konnte die Sole von außen hineingeschüttet und von innen entnommen werden.
Das Herzstück jeder Kothe war der Siederaum. Hier stand der Siedeherd, über dem eine Pfanne aus Eisenblech an einem Holzgestell hing. An der Pfanne verrichtete der Salzwirker mit seinem Gesinde die anstrengende, Schweiß treibende Arbeit des Salzsiedens.
War das Salz fertig, musste es vor dem Verkauf einige Zeit trocknen. Hierzu trug man es auf die Salzstätte, einem erhöhten Bereich im hinteren Teil der Kothe. Ebenso gab es Lagerflächen für Stroh und Brennholz.
Vom Vorbild zum Modell
Das Modell einer großen Salzkothe aus der Zeit um 1700 ist ein seltenes historisches Zeugnis, das uns heute einen lebendigen Eindruck der alten Siedehütten auf der Thalsaline vermittelt. Angefertigt wurde es wohl als Lehrmodell für den Realienunterricht in den Waisenhausschulen. An dem Modell konnten die typische Bauweise der Salzkothen und das traditionelle Salzsiedeverfahren anschaulich erläutert werden. Erwähnt wird es erstmals im Katalog der 1741 neu eingerichteten barocken Kunst- und Naturalienkammer, wo das Modell bis heute ausgestellt ist.
Baujahr und Erbauer des Modells sind unbekannt. Die noch erhaltene Einrichtung entspricht einer einfachen, mit Holz befeuerten Siedehütte des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Reste einer Pumpe im Solefass deuten aber darauf hin, dass das Modell frühestens 1699 entstanden sein kann, als derartige Pumpen eingeführt wurden.
Die große Salzkothe – virtuell
Erkunden Sie das virtuelle 3D-Modell der großen Salzkothe hier oder auf Sketchfab und verfolgen Sie den animierten Vorgang des Salzsiedens.
Die Salzgewinnung läuft in zwei Phasen ab: Zunächst muss die Sole erhitzt, eingekocht und gereinigt werden. Das nennt man Stören. Erst beim anschließenden Soggen bilden sich in der konzentrierten Sole Salzkristalle. Für grobkörniges Salz sollte die Sole dabei eine Temperatur von ungefähr 70° C haben. Ein Werk Salz – zwei befüllte Körbe von zusammen etwa 100 kg Gewicht – erfordert 36 Eimer Sole und vier Stunden Zeit.
Zwei Träger schütten Sole aus einem Zober, den sie mittels einer Stange auf den Schultern tragen, von außen in das Solefass an der Kothe.
In der Kothe heizt ein Knecht den Herd mit Holzscheiten kräftig an. Anschließend gießt er 22 Eimer Sole in die Siedepfanne auf dem Herd.
Für den Siedevorgang selbst ist nun der Siedemeister zuständig, den man in Halle „Salzwirker“ nennt. Er wird dabei von seinem Knecht und weiterem Gesinde unterstützt.
Die Kothe füllt sich allmählich mit Rauch und Dampf. Flammen schlagen an der Mauer hinter der Pfanne nach oben.
Um sie zu reinigen, rührt der Salzwirker etwas Rinderblut in die Sole. Dadurch entsteht Schaum, den er abschöpft. Der Knecht gießt daraufhin weitere 14 Eimer Sole in die Pfanne und legt Holz nach.
Nach einiger Zeit wallt die Sole auf und der Wirker gibt etwas Bier hinein. Der Alkohol darin fördert die Entstehung der Salzkristalle, die bereits kleine Inseln auf der Sole bilden. Nun darf die Sole nicht mehr kochen.
Die Salzkristalle verbinden sich und sinken als grobkörniges Salz auf den Pfannenboden. Mithilfe einer sogenannten Krücke zieht es der Wirker vorsichtig an den Pfannenrand. Das tropfnasse Salz füllt er nun mit einer Holzschaufel in zwei Weidenkörbe, die der Knecht zuvor in einem Gestell über der Pfanne eingesetzt hat. Das Salz wird solange geschichtet und über den Rand des Korbes aufgeschlagen, bis die typische Form der Salzstücke entsteht. Die überschüssige Sole tropft derweil in die Pfanne zurück.
Der Knecht nimmt die befüllten Körbe aus dem Gestell und stellt sie neben dem Herd ab. Später trägt er sie nach oben auf die Salzstätte, wo die noch feuchten Salzstücke einige Zeit trocknen müssen. Erst danach können sie an Händler verkauft werden.
Nachdem ein Werk Salz gesiedet wurde, wird ein neues Werk begonnen.
Ist das detailreiche Modell möglicherweise der Nachbau einer ganz bestimmten Salzkothe? Das aufgemalte Hauszeichen an der Fassade, das einer Ente ähnelt, lässt das zumindest vermuten, denn eine Siedehütte namens »Entvogel« hat es tatsächlich gegeben. Auf dem Plan der Thalsaline von 1746 ist sie eingezeichnet, mitten auf dem heutigen Hallmarkt. Sogar ihr Grundriss und die Lage des Solefasses stimmen mit dem Modell überein.
Unter den wechselnden Besitzern des „Entvogels“ findet sich im 18. Jahrhundert auch die Pfännerfamilie Kraut. Zwei ihrer Söhne, Christian Friedrich (1650–1714) und Johann Andreas (1661–1723), waren einflussreiche preußische Staatsdiener in Berlin. Sie standen in Kontakt mit August Hermann Francke und förderten sein Waisenhausprojekt. Eine Verbindung der Familie Kraut zu dem Modell ist daher durchaus wahrscheinlich.
Grundriss der Thalsaline von 1746
Vom Holz zur Steinkohle
Wie die Eisenverhüttung und Glasherstellung verschlang auch die Salzsiederei Unmengen an Brennholz, das immer knapper wurde. Daher bemühten sich findige Köpfe bereits Ende des 16. Jahrhunderts, den Holzverbrauch durch neue Siedetechnik zu senken. Auch in Halle experimentierten Tüftler und »Projektemacher« mit Holz sparenden Siedeherden und alternativen Brennstoffen, was teuer war, aber zu nichts führte. Aus Furcht vor finanziellen Einbußen lehnten später viele Pfänner weitere Verbesserungsversuche ab und blieben lieber bei den altbewährten Methoden.
Klimaschwankungen, harte Winter mit zugefrorenen Flüssen und lokale Entwaldung führten schon in der Frühen Neuzeit immer wieder zu Engpässen. Auch Halle hatte hin und wieder mit Holzknappheit zu kämpfen und sorgte sich aufgrund steigender Nachfrage und Preise um seine Energieversorgung. Ob die Wälder der Umgebung damals schon zu stark entwaldet waren oder eher schlechte Planung und Logistik den Mangel hervorriefen, ist in der Forschung nach wie vor umstritten.
Die Saline im württembergischen Saulnot bei Mömpelgard (heute Montbéliard, Frankreich) zählte zu den Vorreitern auf dem Gebiet der Salzsiedetechnik. Hofbaumeister Heinrich Schickhardt (1558–1635) hatte hier bereits 1593 Siedeherde auf technisch hohem Niveau entwickelt, mit Luftkanälen und Rauchabzügen für den Betrieb mit Steinkohle. Erst 100 Jahre später hielt vergleichbare Technik auch in Halle Einzug.
Neue Technik
Der brandenburgische Kurfürst wollte in seinen Siedehütten hochwertiges Salz möglichst günstig produzieren. Als billiges Brennmaterial sollte Steinkohle aus den eigenen Bergwerken in Wettin und Löbejün nordwestlich von Halle dienen. Denn diese ließ sich bequem auf der Saale nach Halle transportieren. Doch in den herkömmlichen Siedeherden brannte die Kohle schlecht und der Qualm machte das Salz schwarz und bitter. Die Siedetechnik musste somit von Grund auf erneuert werden.
Dabei schreckte man selbst vor Industriespionage nicht zurück: Die kurbrandenburgische Regierung schickte einen Spion nach Hessen in die Saline Allendorf, die ihre Pfannen schon im 16. Jahrhundert mit Steinkohle beheizte. Dort ausgekundschaftete Details flossen in die Siedeversuche in Halle ein.
Nach vielen Versuchen gelang dem Siedemeister Johann Bötticher (1639–1713) im Jahr 1693 endlich der Durchbruch. Seine Lösung ähnelte der Konstruktion Schickhardts in der Saline Saulnot: ein Herd mit eisernem Kohlenrost, Aschenfall und geregelter Luftzufuhr, ein gemauerter Schornstein für die Rauchgase sowie ein Dunstabzug über der Pfanne. Letzterer führte den Siededampf über einen Dachauslass ins Freie.
Die eigentliche Erfindung Böttichers aber waren Wärmeröhren auf dem Trockenboden der Kothen, beheizt von der Abwärme des Siedefeuers. So trocknete das Salz schneller denn je.
Bötticher gelang es mit der neuen Methode, tadelloses Salz zu sieden, das dem Lüneburger in nichts nachstand. Zur Belohnung ernannte man ihn zum Obersiedemeister der königlichen Salzgewinnung.
Zügig wurden sämtliche Siedehütten des Landesherrn nach Böttichers Art modifiziert. Nicht so bei den Pfännern. Nur wenige zeigten sich dem neuen Verfahren gegenüber aufgeschlossen. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts siedeten auch alle Pfänner-Kothen mit Steinkohle.
Rußpartikel zwischen den Salzkörnern waren geradezu ein Markenzeichen des hallischen Salzes. Mit der neuen Siedemethode wurde das Salz jedoch viel sauberer. Nach dem Umstieg auf Steinkohle ließ die Pfännerschaft ihrem Salz noch einige Zeit lang etwas Ruß beimischen, um mögliche Zweifel an seiner Herkunft zu zerstreuen.
Das kleine Lehrmodell einer Salzkothe aus der Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen enthält alle Neuerungen Böttichers in einfacher Form. Damit zeigt es den aktuellen Stand der Siedetechnik jener Zeit und steht für die wichtige Experimentierphase der preußischen Salzproduktion. Es stammt aus der Werkstatt des halleschen Pfarrers, Pädagogen und Erfinders Christoph Semler (1669–1740). Er eröffnete 1707 in Halle eine »Mathematische und Mechanische Real-Schule« für angehende Handwerkslehrlinge – die erste Realschule Deutschlands. Dort vermittelte ein Lehrer technische Zusammenhänge vor allem anhand von Modellen, die eigens zu diesem Zweck anfertigt wurden.
In der Wunderkammer gibt es weitere faszinierende Modelle aus Semlers Werkstatt, zum Beispiel ein Brauhaus und eine Drechselbank mit Miniaturwerkzeugen. Semler schenkte sie 1718 seinem Amtskollegen August Hermann Francke, der ein ähnliches Realschulprojekt verfolgte, das aber nicht realisiert wurde. Zusammen mit anderen Lehrmitteln gehörten die Modelle zunächst zur »Mechanischen Kammer«, später wurden sie Teil der barocken Kunst- und Naturaliensammlung im ehemaligen Schlafsaal der Waisenknaben.
Die kleine Salzkothe in der ersten Realschule
Schon auf dem Titel wirbt die Begleitschrift zu Semlers „Real-Schule“ mit den zahlreichen im Unterricht behandelten Modellen und Themen.
Der Unterrichtsstoff zur Salzkothe erläuterte nicht nur deren wichtigste Bestandteile am Modell, sondern vermittelte auch solides Grundwissen über das Salzsiedehandwerk auf der Thalsaline.
Die kleine Salzkothe – virtuell
Erkunden Sie das virtuelle 3D-Modell der kleinen Salzkothe hier oder auf Sketchfab.
Die kurfürstlichen Siedehütten auf der Thalsaline markierten den Beginn der preußischen Salzwirtschaft um 1700. Die dort entwickelte Technologie schuf die Grundlage für die staatlichen Salinen in Halle und Schönebeck. Zeitweise war die hiesige Königliche Saline das größte Salzwerk Preußens, bis sie in den 1730er Jahren von der Schönebecker Saline überholt wurde.